Ein Extremjahr folgt auf das andere. 2022 schrumpften die Gletscher in der Schweiz um sechs Prozent und 2023 um vier Prozent. Damit verschwanden in nur zwei Jahren zehn Prozent des Eisvolumens, wie die Schweizerische Kommission für Kryosphärenbeobachtung berichtet. Die Schweizer Gletscher-Messreihen sind die längsten der Welt. Die Position mancher Gletscherzunge wird seit 140 Jahren ununterbrochen gemessen, die Schneemenge und die Eisschmelze seit mehr als hundert Jahren. Wenn das Pariser Abkommen eingehalten wird und sich die Temperaturen nach 2050 stabilisieren, dürfte etwa ein Drittel des Schweizer Gletschereis erhalten bleiben. Bei ungebremster Erwärmung verschwindet bis 2100 das ganze Eis der Alpen, bis auf kleine Reste über 4000 Metern.
Der massive Eisverlust in der Schweiz ist auf den sehr schneearmen Winter und hohe Temperaturen im Sommer zurückzuführen. Die Gletscherschmelze betraf die gesamte Schweiz. Im Süden und Osten der Schweiz schmolz das Gletschereis fast gleich stark wie im Rekordjahr 2022. Im südlichen Wallis und Engadin wurde auf über 3200 Metern eine Eisschmelze von mehreren Metern gemessen. Dies ist eine Höhe, in der Gletscher bis vor kurzem noch im Gleichgewicht waren. Der mittlere Eisdickenverlust beträgt dort bis zu drei Meter und liegt deutlich über den Werten des Hitzesommers 2003. Etwas weniger dramatisch ist die Situation zwischen Berner Oberland und Wallis. Dort lag im Winter nicht ganz so wenig Schnee. Dennoch ist der Verlust mit über zwei Metern an mittlerer Eisdicke immer noch sehr hoch.
Im Winter 2022/2023 fiel in den Schweizer Alpen kaum Niederschlag und es war sehr warm. In der Folge lag an allen Mess-Stationen deutlich weniger Schnee als früher üblich. Oberhalb von 1000 Metern stechen die Bedingungen im Februar und Anfang März heraus: In der ersten Februarhälfte waren die gemessenen Schneehöhen meistens noch etwas höher als in den schneearmen Wintern 1964, 1990 oder 2007. In der zweiten Februarhälfte aber sanken die Schneehöhen auf neue Rekorde und betrugen nur noch 30 Prozent des langjährigen Mittelwerts. Auch oberhalb 2000 Metern zeigten mehr als die Hälfte der automatischen Stationen mit mindestens 25-jährigen Messreihen niemals zuvor ermittelte Mindestwerte an.
Gletschereis ist die größten Süßwasserspeicher der Welt. Die Gletscher tragen vor allem während der Sommermonate durch ihr Schmelzwasser wesentlich zum Wasserstand der Flüsse bei. Der Weltklimarat IPCC hatte schon 2019 in einem Sonderbericht über die Ozeane und die Eis- und Schneevorkommen prognostiziert, dass niedrig gelegene Gletscher wie in den Alpen bis zum Ende dieses Jahrhunderts rund 80 Prozent ihrer Masse einbüßen. In seinem 2022 veröffentlichten Sachstandsbericht stufte der IPCC das weltweite Abschmelzen von Eis und Schnee als eine der zehn größten Bedrohungen durch den Klimawandel ein.