Am 30. September 2024 endete ein langes Kapitel der britischen Energiegeschichte: An diesem Tag wurde in Rattcliffe-on-Soar in Nottinghamshire das letzte britische Kohlekraftwerk, das 1968 vom staatlichen Central Electricity Generating Board (CEGB) in Betrieb genommen worden war, geschlossen. Ein Rückblick verdeutlicht die Bedeutung dieses Datums: Am 12. Januar 1882 geht in London das erste Kohlekraftwerk der Welt ans Netz. Schon im frühen 18. Jahrhundert fördert das weitgehend entwaldete und dicht bevölkerte Großbritannien, wo Steinkohle Holz als Brennstoff ersetzt und über die Flüsse, ein Kanalnetz und das Meer verschifft wird, 80 Prozent der in Europa verfeuerten Kohle.
Vor 1900 werden in den britischen Kohlerevieren pro Jahr mehr als 200 Millionen Tonnen Kohle abgebaut. 200 Jahre lang ist „King Coal” der Hauptenergieträger im Vereinigten Königreich, dessen Industrialisierung ohne diese Ressource nicht möglich gewesen wäre. Das Tempo des Wandels ist beeindruckend. Noch 1990 macht Steinkohle 65 Prozent am britischen Strommix aus. 2014 sind es noch 30 Prozent und 2023 beträgt dieser Anteil nur noch ein Prozent.
Gaskraftwerke und Windkraftanlagen und die Kernenergie haben die Kohle als Brennstoff in einer rasanten Entwicklung fast vollständig verdrängt. Noch vor 14 Jahren gab es auf der zwischen dem Atlantik und der Nordsee gelegenen Insel kaum Windkraftanlagen – und 2023 liefert die Windkraft bereits 32,8 Prozent des in Großbritannien erzeugten Stroms (Erdgas: 34,7 Prozent, Bioenergie: 11,6 Prozent, Kernkraft: 13,8 Prozent). Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor beim Umbau der britischen Energiewirtschaft ist das Finanzierungsinstrument der Contracts for Differences (CfD): so genannte Differenzverträge zwischen einem Stromanbieter und einem Unternehmen, die über einen längeren Zeitraum einen vom Marktpreis unabhängigen Fixpreis garantieren. Innovativ sind die Briten auch auf einem weiteren Feld: Investoren werden auf dem Capacity-Market dafür bezahlt, dass sie ihre Kraftwerkskapazitäten für „Dunkelflauten” vorhalten – Zeiträume, in denen kein Wind weht und auch keine Sonne scheint und erneuerbaren Energien bei der Stromproduktion ausfallen.
Die regierende Labour-Partei verspricht schon eine weitere Energierevolution. Bis zum Jahr 2030 – also schon in sechs Jahren – soll die britische Stromerzeugung ohne Kohle und Gas auskommen. Die bis Juli regierenden Konservativen wollten diesen Wandel bis 2035 vollziehen. Der von Labour vorgelegte Zeitplan ist ambitioniert: Erneuerbare Energien müssten demnach bis 2030 so stark ausgebaut werden, dass sie durchschnittlich zirka 90 Prozent des nachgefragten Stroms erzeugen könnten. Den Rest müssten dann die verbliebenen britischen Kernkraftwerke und die neue Atom-Anlage „Hinkley Point C“ abdecken. Mit seinen großen Offshore-Windparks ist Großbritannien heute die – nach China – zweitgrößte Windkraftnation der Welt. Aber die Gaskraftwerke sind – neben den Atomkraftwerken – immer noch das Rückgrat der britischen Stromversorgung. Deshalb sollen die britischen Windparks in der Nordsee weiter wachsen: Bis 2030 will Großbritannien die Offshore-Windkapazitäten vervierfachen und die Anzahl der Onshore-Windräder verdoppeln.
Allerdings wird auch der Strombedarf auf der Insel stark steigen. So will Labour ab 2030 nur noch Elektroautos neu zulassen. Wenn auch andere Sektoren dekarbonisiert werden, müsste die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien noch sehr viel mehr wachsen. Nach einer Projektion ist mindestens eine Verdoppelung bis 2030 notwendig. Und gleichzeitig müssten die Speicherkapazitäten enorm ausgebaut werden. Rotierende Stabilisatoren und große Batterien sollen die konstant benötigte elektrische Leistung in den britischen Versorgungsgebieten in Zukunft zwar sicherstellen – ob eine derart radikale und mehrgleisige Umstellung des Energiesystems in einer so kurzen Zeit möglich ist, darf aber zumindest bezweifelt werden.